7. Juli, 2006

was die leute so alles über depressionen zu wissen glauben

Category: [politik] — Admin @ 10:31 am
Gestern wurde ich zufällig Zeuge einer Diskussion zwischen drei Frauen um die 30. Sie haben über manisch-depressive Menschen geredet und mir haben sich ob der abstrusen Theorien und dem Halbwissen die Haare zu Berge gestellt.
Und es fallen mir sogleich diverse Dinge auf. Erstens ist die Redewendung ‚ich habe eine Depression‘ wohl die meistgehörte Phrase in unserer Zeit. Die meisten Menschen, die im Alltag sagen ‚ich habe eine Depression‘ sollten eigentlich sagen ‚ich bin deprimiert‘ oder wenn schon ‚ich habe eine leichte depressive Verstimmung‘. Jede/r von uns kennt Tage an denen uns alles stinkt, an denen wir nicht gerne zur Arbeit gehen. Das ist normal und dem sagt man deprimiert. Oder niedergeschlagen. Oder schlecht drauf. Depression ist eine psychische Krankheit und obwohl sie momentan die besten Chancen hat zur Volkskrankheit Nummer eins zu werden sind noch lange nicht alle Menschen depressiv. Was solls, werden sich einige nun fragen. Ganz einfach. Mit dem inflationären Gebrauch dieses Begriffes wertet man die Leute ab, die tatsächlich an einer Depression leiden. Eine solche zieht sich nämlich in der Regel über einen längeren Zeitraum hin, ist von diversen Symptomen begleitet und ist definitiv behandlungsbedürftig. Wenn schlecht gelaunte Leute von sich behaupten sie seien depressiv, muss sich das für die wirklich depressiven Menschen anfühlen wie die Faust ins Gesicht. Denn das führt ihnen quasi vor Augen, dass andere Leute mit dieser Krankheit scheinbar klar kommen. Dem ist aber nicht so.
Zweitens ist es je internet je länger Mode, sich selber eine Diagnose zu stellen. Das ist leider nicht nur der Medizin so, sondern auch in der Psychologie. Jede/r hat noch irgendwo das Gefühl etwas davon zu verstehen, man kann ja googeln. Das ist Schwachsinn. Denn wie auch die Diagnose des Arztes auf vielen Faktoren beruht, ist die Diagnose einer psychischen Störung nicht so einfach wie viele glauben. Viele haben das Gefühl, weil sie mal ein Buch zur Selbsthilfe gelesen haben, sie seien jetzt bewandert in Psychologie. Da frage ich mich wieso man das dann an der Uni studieren kann. Dasselbe gilt in der Medizin. Komischerweise findet das in der Juristerei noch seltener statt.
Drittens finde ich es zwar schön, dass in unserer Gesellschaft langsam aber sicher die Enttabuisierung von psychischen Krankheiten stattfindet. Damit das aber sinnvoll ist, sollten zumindest richtige Informationen verbreitet werden. Und da hinkt die Schweiz meilenweit hinter anderen Ländern her. Suizidprophylaxe und Aufklärung über psychische Störungen ist in Australien Pflichtstoff in der Schule. Bei uns findet national praktisch nichts statt, weil der Bund findet, das sei Sache der Kantone. (Und BR Couchepin mit seinen unsäglichen Sparübungen im psychotherapeutischen Feld negiert die Ernsthaftigkeit und die Wichtigkeit der psychischen Gesundheit. Die Kosten die dadurch verursacht werden sind übrigens marginal im Vergleich zu den Gesamtkosten im Gesundheitsbereich. Aber das nur am Rande). Die Schweiz hat international immer noch eine der höchsten Suizidraten. Insbesondere unter Jugendlichen ist Suizid die Todesursache Nummer eins. Viele Suizidenten leiden nachweislich unter Depressionen und hätten eine bessere Prognose, wenn sie aufgeklärt wären über die Krankheit Depression. Ich habe im Rahmen eines Projektes mal ein halbes Jahr lang versucht Geld für Suizidpräventionskampagnen aufzutreiben. Das war wohl so ziemlich das frustrierendste, was ich je getan habe. Es interessiert niemanden. In die Prävention von Verkehrsunfällen werden jedes Jahr (unbestritten wichtige) Millionen gepumpt. In die Suizidprävention praktisch nichts. Wird Zeit, dass sich da langsam aber sicher etwas ändert.
 
Für Interessierte:
 
Zuger Bündnis gegen Depression
Equilibrium
Vereinigung der Angehörigen von Schizophrenie- / Psychisch-Kranken 
Forum für Suizidprävention und Suizidforschung 
Initiative zur Prävention von Suizid in der Schweiz

4 Comments »

  1. interessant finde ich, dass gerade menschen, die vermutlich tatsächlich in einer depression stecken oder zumindest am anfang einer depression stehen, diese nicht als solche wahrnehmen möchten und daher auch nicht damit zum arzt gehen wollen.

    aber danke für den bericht, besonders die ausführung betreffend suizid-prävention… schade, dass hier nicht mehr gemacht wird.

    Comment von pipistrella — 7. Juli, 2006 @ 3:08 pm

  2. Sehr engagierter Text!
    Beim Gedanken an Herrn Couchepins schräge Sparübung kriege ich einen Knoten im Magen. Hat irgend jemand – vielleicht evt. er selber – eine Ahnung, was das bringen soll?

    Comment von acqua — 8. Juli, 2006 @ 12:36 am

  3. es bringt einsparungen in der höhe von ein paar millionen. ohne allerdings abzuschätzen, wie hoch die folgekosten von nicht ausreichend behandelten psychischen störungen sein werden…

    Comment von PAX — 8. Juli, 2006 @ 8:39 am

  4. Eben!

    Comment von acqua — 8. Juli, 2006 @ 3:45 pm

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