22. August, 2005

menschen mit …

Category: [daily business],[sprachlese] — Admin @ 11:44 am
Habe heute ein Inserat gelesen, in dem stand: "(…) die Zeitschrift für Menschen mit Lebenserfahrung". Welch gelungene Formulierung für das Wort alt. Früher hiessen solche Menschen ‚alte Menschen‘ oder ’senile Menschen‘ oder einfach nur ‚Alte‘ oder ‚Greise‘. Heute heissen sie ‚Menschen mit Lebenserfahrung.
Es setzt sich also der Trend fort, neue und wertneutrale Namen zu vergeben. Analog der Berufswelt (Putzfrau –> Raumpflegerin) wird jetzt auch im Alltag auf die möglichst positive Umschreibung eines bis dato mehrheitlich negativ wahrgenommenen Kontextes Wert gelegt. Wo führt das hin? Welche weiteren Beispiele können wir finden?
In Zukunft wird es nicht mehr ‚Obdachlose‘ heissen, sondern ‚Menschen ohne festen Wohnsitz‘ oder ‚Menschen mit Outdoorerfahrung‘. Aus ‚Arbeitslosen‘ werden ‚Menschen mit viel Freizeit‘ oder ‚Menschen mit genügend Schlaf‘. Aus ‚Kleinwüchsigen‘ werden ‚Menschen mit Wachstumspotenzial‘, aus ‚Dummen‘ werden ‚Menschen mit geistigem Entwicklungspotenzial‘. ‚Ausländer‘ werden zu ‚Menschen mit Reiseerfahrung‘.
Doch wird unsere Welt dadurch besser? Wohl kaum, denn so lange Vorurteile in den Köpfen existieren, kann man sie auch mit schöngefärbten Formulierungen nicht zum Verschwinden bringen. So lange die ‚Putzfrau‘ vor dem geistigen Auge immer noch eine Ausländerin (tschuldigung, eine Frau mit Reiseerfahrung) ist, und immer noch gleich wenig verdient wie vor 10 Jahren, so lange nützt ihr auch der Begriff ‚Raumpflegerin‘ nichts. Ihre Welt wird dadurch weder gerechter noch besser.
Schöne Formulierungen sind etwas tolles. Formulierungen müssen wertneutral sein, da bin ich einverstanden. Aber eine Verschleierung oder eine Schönfärbung ist nicht ehrlich und bringt im Endeffekt auch nichts. Manchmal sind Formulierungen hart und tun weh. Aber es ist niemandem geholfen, wenn man vor diesem Problem einfach die Augen verschliesst und das Gefühl hat, durch eine schöne Formulierung sei die Welt gerecht geworden…
17. August, 2005

idiot[ikon]

Category: [sprachlese] — Admin @ 9:06 pm

Gewusst, was ein Idiotikon ist? Die Seite ‚wissen.de‘ meint dazu:

I|di|o|ti|kon
[n. –s–ka oder –ken] Mundartwörterbuch [<griech. idiotikos ”einen einzelnen betreffend“, zu idios ”eigen, für sich“]

 

Ok, schon wieder etwas gelernt. Wieso aber ist das ein Thema? Viele wissen es nicht, aber es gibt in der Scheiz ein Idiotikon. Und es heisst auch noch gleich so. Den wenigsten Menschen in der Schweiz ist bewusst, dass unsere Sprache Regeln gehorcht und auch eine Geschichte hat. Niemand stellt sich hier ernsthaft die Frage, wieso heisst dieses Wort eigentlich so. Sehr wahrscheinlich hat das auch damit zu tun, dass wir diese Sprache im offiziellen Kontext niemals schriftlich benutzen dürfen. Obwohl sich gerade bei jungen Menschen die Mundart auch im schriftlichen Verkehr wieder vermehrt durchsetzt (wahrscheinlich weil sie sich an keine Regeln halten müssen), beschäftigen sich die wenigsten Menschen mit dem Ursprung unserer Sprache. Zu gross sind die Komplexe und Befürchtungen, von Deutschen ausgelacht zu werden ob dieser kümmerlichen und schwierig auszusprechenden Sprache.

Doch wir brauchen uns mit unserer Sprache nicht zu verstecken. Der Duden hat ca. 120’000 Einträge. Das Idiotikon bis dato 130’000. Auf 15’000 Seiten sind alltägliche und leider auch bereits verloren gegangene Dialektwörter säuberlich hergeleitet. Die Arbeit am Idiotikon dauert nun schon seit 140 Jahren und wird voraussichtlich in 20 Jahren vorläufig beendet sein. Dann beginnt jedoch das Editieren, denn unsere Sprache entwickelt sich stetig weiter. ‚Tschigg‘ (Chicken) und ‚Tschiins‘ (Jeans) haben den Weg in unsere Sprache gefunden. Leider ist das Idiotikon noch nicht auf CD erschienen. Für das Büchergestell sind 15’000 Seiten dann doch ein paar Meter zuviel…

hier nun ein paar Bsp. und wie sie korrekt geschrieben werden:

de bangkch = Sitzbank
de bäze = Besen
bröntsche = brunchen
d’chrëëze = Rückentragkorb
deglyche tue = so tun als ob
de eerscht = erster
fiuw = viel (Berner Dialekt)
gchugle = die Kugel (ja der Artikel ist schon drin)

 
off the record: hepfrässe = halt die Fresse

weitere Beispiele auf Idiot

Wänner wänd wüsse, wohär öie Dialäkt chunnt, dänn probiered doch emal s‘Chochichäschtli-Orakel us! Ist übrigens sicherlich auch für nicht-dialekt-sprechende Menschen lustig! 

 

Und der Form halber noch die Definition eines Idioten, weils grad so schön zum Thema passt:

 

I|di|ot [m. 10] 1 [Med.; veraltet] geistig erheblich beeinträchtigter Mensch 2 [ugs., abwertend] Dummkopf, Trottel [<griech idiotes urspr. ”gewöhnlicher Mensch, Nichtkenner, Nichtfachmann“, später auch ”Nichtswisser“, zu idios ”eigen, dem Einzelnen gehörig, privat“; der Mann im öffentlichen, staatlichen Dienst galt als klüger und gebildeter als der Privatmann] 

 

28. Juli, 2005

sucht – Sucht

Category: [sprachlese] — Admin @ 5:23 pm

Sucht…

Beende diesen Satz. Bing! Falsch. Nicht beachtet, dass sucht sowohl Verb wie auch Nomen sein kann?!

Sucht ist eine fürchterliche Sache.

Sucht und ihr werdet finden.

Mühsam ist es vor allem beim Lesen. Ist doch das eine mit einem langen U gesprochen, das andere jedoch nicht. Und die deutsche Sprache lässt uns nun völlig in der Luft hängen, wenn es darum geht herauszufinden, was es ist. Klar wenn das Wort mitten im Satz steht, dann sehen wir an Hand der Gross/Kleinschreibweise, ob es ein Nomen ist oder nicht. Aber am Satzanfang?

Gleich verhält es sich übrigens auch mit:

Flucht / flucht

Bucht / bucht

Was auffällt ist, dass all diese Beispiele UCH inne haben. Sehr wahrscheinlich hält der DUDEN sogar eine plausible Erklärung dafür bereit, dass gerade diese Wörter betroffen sind. Ich habs versucht zu finden, bin aber bei diversen anderen Regeln hängen geblieben.

R6 Das Adjektiv oder Partizip wird schwach gebeugt, wenn der bestimmte Artikel, ein Pronom oder ein Zahlwort mit starker Endung vorangeht.

???Hä??? Beugen??? Germanistikstudenten wissen natürlich, dass mit Beugung die Deklination gemeint ist. Darum machen die auch keine Rumpfbeugen, sondern Rumpfdeklinationen.

R33 Häufig gebrauchte Fremdwörter (…) können sich nach und nach der deutschen Schreibweise angleichen.

Als Beispiele nennt der Duden: Delphin –> Delfin, Exposé –> Exposee, Graphit –> Grafit … Geht’s noch? Da zieht es mir ja alle Innereien zusammen. Und was heisst bitteschön ’nach und nach‘? Wird aus Exposé zuerst ein paar Jahre Expose und dann Exposee?

R38 Verbindungen mit einem Verb, bei denen die Reihenfolge der Bestandteile je nach der Stellung im Satz wechselt (trennbare bzw. unfeste Zusammensetzung), werden nur im Infinitiv, in den beiden Partizipien sowie bei der Endstellung im Nebensatz zusammengeschrieben.

…. müsste zusammengeschrieben nach neuer Rechtschreibung nicht zusammen geschrieben heissen? Das macht mich immer konfuser…

R41 Man schreibt ein verblasstes Substantiv mit einer Präposition zusammen, wenn die Fügung zu einer neuen Präposition oder einem Adverb geworden ist.

Oder aber man schickt das Substantiv einfach wieder etwas in die Sonne, dann gewinnt es an Farbe und sieht nicht mehr ganz so blass aus.

Ganz witzig wirds dann bei den amtlichen Regeln:

1.4 Umlautschreibung bei [ε]

§13 Für kurzes [ε] schreibt man ä statt e, wenn es eine Grundform mit a gibt.

So weit so gut.

§14 In wenigen Wörtern schreibt man ausnahmsweise ä.

Aha, ok.

§15 In wenigen Wörtern schreibt man ausnahmsweise e.

Hmmm.

 

Hilft das wirklich jemandem? Ich meine, gibt es Leute, welche sich hinsetzen, den Duden zur Hand nehmen und so Deutsch lernen? Wohl kaum oder? Aber gut, dass es irgendwo aufgeschrieben ist. Wenn ich nämlich nicht weiss, wie man Eltern schreibt (ups, schon hab ichs richtig gemacht), dann kann ich nachschauen. Man schreibt es mit e und nicht mit a (kommt von alt), weil es unter §15 verbucht wird.

Ich hab den Deutschunterricht in der Schule sehr genossen. Vor allem das Lesen und die Aufsätze hatten es mir besonders angetan. Ich war auch wirklich gut. Zumindest was den Inhalt meiner Aufsätze anbelangte, wurde ich von meinem Lehrer immer gelobt. Über meine mangelnden Kenntnisse bezüglich der Kommasetzung hat er freundlich hinweg gesehen. Es gab auch wirklich nur eine Prüfung, welche ich voll in den Sand gesetzt habe. In der gings darum Wortarten zu bestimmen. Das kann ich übrigens heute noch nicht. Ich bin meinem Deutschlehrer heute noch dankbar, dass er Wert auf korrektes Deutsch legte, wir aber nie erklären mussten, wieso es so korrekt ist und nicht anders…

 

24. Juli, 2005

beiwohnen?!

Category: [sprachlese] — Admin @ 6:21 pm

Schon mal jemandem beigewohnt? Ich denke schon, dass jede(r) von uns das bereits ein paar Mal gemacht hat. Nur wissen die wenigsten, was das wirklich bedeutet. Das ZGB (Zivilgesetzbuch) weiss es aber ganz genau. In Artikel 260b. Absatz zwei (Es geht um die Anfechtung der Vaterschaft): "Mutter und Kind haben diesen Beweis (dass der Vater nicht der Vater ist) jedoch nur zu erbringen, wenn der Anerkennende glaubhaft macht, dass er der Mutter um die Zeit der Empfängnis beigewohnt habe."

Beiwohnen bedeute also Sex haben. Die Seite Wissen.de, insbesondere diese Seite meint dann dazu auch:

  bei|woh|nen intr. 1 1. einem Vorgang b.: bei einem Vorgang dabei sein; 2. veraltet: jmdm. b.: mit jmdm. Geschlechtsverkehr haben.

 Das eröffnet doch ungeahnte Möglichkeiten, wenn es darum geht, jemanden nach Hause mit zu nehmen. "Möchtest du mir heute Abend beiwohnen?", oder "Dürfte ich Ihnen heute Abend beiwohnen?" werden zu den ultimativen Anmachsprüchen. Wundert Euch aber nicht, wenn die Antwort darauf lautet: "Nein tut mir leid, wir haben weder ein Zimmer frei, noch eine Gästecouch". Es wird eine Weile dauern, bis sich dieses Wort wieder im kollektiven Sprachgebrauch etabliert hat.

 

12. Juli, 2005

konstanz? nein, konstanz!

Category: [daily business],[sprachlese] — Admin @ 8:31 am

themen_cat2_d.jpgEs ist ein altes Thema, aber immer wieder für ein Schmunzeln gut. Die Betonung gewisser Wörter hier in der Schweiz. Wir betonen ja bekanntlich eher auf der ersten Silbe, während unsere Nachbarn aus dem Norden betonungsmässig die zweite vorziehen. Das führt dann zu schönen Dingen wie St. Moritz, bei dem wir Schweizer uns oft fragen, ob es denn so schwierig sein kann, ein Wort richtig zu betonen. Nun, die Deutschen betonen es schon richtig, nur nach ihren Regeln, die für sie ja tagtäglich Gültigkeit haben. Der langen Rede kurzer Sinn, wir betonen unterschiedlich.

Nun fällt mir auf der neuesten Werbung unserer Bundesbahnen obenstehendes Bild auf. Und zum ersten Mal in meinem Leben bemerke ich, dass diese Ortschaft in der Schweiz und in Deutschland unterschiedlich wahrgenommen wird. Rein betonungsmässig heisst diese Ortschaft nach oben hergeleiteter Regel in der Schweiz Konstanz. In Deutschland heisst sie aber Konstanz. Das wirft doch einige Fragen auf. Wie sind die Menschen in Konstanz denn so drauf? In einer Zeit, die schnelllebiger und vergänglicher kaum sein könnte gönnt sich eine Gemeinde diesen Namen. Ist doch wunderbar. Und dieser Ort ist nicht irgendwo, sondern an der Schengen-Aussengrenze (noch!). Die letzte Bastion des "old Europe", das letzte Mal so etwas wie Sicherheit und Althergebrachtes. Danach folgt Wildnis, gottloses Gebiet…

 

zuerich.jpgÜber diese Werbung kam ich ein Bisschen ins Grübeln und da fiel mir die gute alte Wohlgroth wieder ein. Für nicht-Zürcher, eine ehemals besetzte Fabrik, die in ein alternatives Zentrum umgewandelt wurde. Die Leute der Wohlgrot (die übrigens direkt am Hauptbahnhof situiert war) hatten in grossen Lettern auf die Hauswand der Fabrik Zu reich geschrieben,zuerich1.jpg im gleichen Stil wie die SBB ihre Bahnhöfe anschreibt. Es war immer ein herrliches Bild, in Zürich einzufahren, das Riesen-Graffiti Alles wird gut zu sehen und darunter stand Zu reich. Eine Kreativität, die ich heute vermisse. Nun, die Wohlgrot wurde abgerissen, in Zürich hatte die alternative Kultur schon immer einen schweren Stand. Aber kürzlich stieg ich in Zürich aus dem Zug und mir kam diese Geschichte wieder in den zuerich3.jpgSinn, und ich schaute mir diese Tafeln an und merkte, dass mit einer kleinen Klebeaktion auch englischsprechende Touristen auf eine Eigenheit unserer Stadtbürger hingewiesen werden könnten. In Gedanken sah ich mich schon zu Hause blaue Folie vorbereiten… Irgendwie wurde dann aber doch nichts draus, weil die alternative Kultur in Zürich…, na ihr wisst schon 😉

                                 

 

29. Juni, 2005

doitsche sprack swere sprach

Category: [sprachlese] — Admin @ 12:18 am

Die deutsche Sprache beinhaltet Tücken ohne Ende. Heisst es nun „Hansi’s Bar“ oder „Hansis Bar“, vielleicht „dem Hansi seine Bar“ oder Sansibar… Viel zu denken gibt auch immer wieder ein Standartproblem. Oder ists (ist’s?) vielleicht eher ein Standardproblem? Keiner kann es einem so genau sagen, ob das (dass?) ein solches ist. Viel Mühe bereitet auch der Umstand, dass (das?) man das (dass?) auch mit zwei s (nein, nicht SS, das (dass?) gehört sich schon seit (seid?) langer Zeit vor der Rechtschreibreform nicht mehr) oder einem ß (eszet) schreiben kann.

Aber zum Glück gibts ja das Internet. So kann man Menschen, die solche Fehler begehen, sanft darauf aufmerksam machen, dass (das?) sie jetzt gerade einen Fehler gemacht (Gemächt?) haben. Hilfreich sind:

Apostroph und seine richtige Verwendung

dass / das

Standard / Standart

Leerzeichen

——————————