18. August, 2005

kann ein jude nazi sein?

Category: [politik] — Admin @ 7:43 pm

Manchmal ist für mich die Welt schwer zu verstehen. Was gerade im Gazastreifen vor sich geht löst bei mir ungläubiges Kopfschütteln aus…

Nicht die Tatsache, dass der Streifen geräumt wird finde ich unglaublich (es wurde eher Zeit, meiner Meinung nach), sondern die Tatsache, wie sich die Siedler dagegen wehren. Ich will gar keine Worte darüber verlieren, dass diese Räumungsaktion scheinheilig ist, wenn man bedenkt, dass die Zahl der Siedlungen im Westjordanland erheblich höher ist als im Gazastreifen. Vor ein paar Wochen lief auf ARTE ein Dokumentarfilm über die israelischen Kontrollposten an der Grenze der besetzten Gebiete. Leider kann ich mich nicht mehr daran erinnern wie er hiess. Mir kamen während dieses Films viele Assoziationen in den Sinn. Es war ganz klar eine Herrenrasse zu sehen, die sich über die niederen Palästinenser auslässt. Z.T. offenkundig rassistische Äusserungen israelischer Soldaten liessen mich verstört zurück. Ich würde mich hüten in diesem Zusammenhang das Wort Nazi in den Mund zu nehmen, aber die Methoden und Äusserungen sind für jedes x-beliebige Regime austauschbar. Hätten die Soldaten die Kippa nicht aufgehabt, hätten diese Vorkommnisse auch in Südamerika, Afrika oder in Europa zur Zeit des zweiten Weltkrieges geschehen können.

Nun, über das wollte ich gar nicht berichten. Verstört haben mich in dieser Berichterstattung über die Räumung des Gazastreifens die militanten Siedler. Sie beschimpfen die Soldaten aufs Übelste, machen sie emotional fertig. Nota bene die selben Soldaten, die sie nun jahrzehntelang vor den Palästinensern beschützt haben. Dessen nicht genug, sie nennen die Soldaten Nazis. Das zeugt von einem sehr unverkrampften Geschichtsverständnis. Würde ein nicht-israelischer Mensch eine solche Äusserung wagen, wäre er sofort ein Antisemit. Aber semitische Antisemiten gibts wohl nicht. Ich verstehe nicht was diese Leute machen. Und für mich zeigt das einen sehr egoistischen Standpunkt. Da wird der Holocaust herangezogen um zu vertuschen, dass diese Siedlungen sowieso nie rechtens waren. Diese Soldaten als Nazis zu beschimpfen ist ein Hohn und eine Respektlosigkeit gegenüber dem Holocaust.

Da lob ich mir den folgenden ex-Soldaten, der mir zeigt, dass es in Israel auch besonnene Menschen gibt, die nicht per se annehmen, die Israelis seien etwas Besseres als die Palästinenser:

Tages-Anzeiger vom 17.08.2005


«Das sind keine Patrioten»
Mit der Auflösung der jüdischen Siedlungen im Gazastreifen hat sich eine neue Gruppe von Befehlsverweigerern gebildet. Doch die bisherigen Dienstverweigerer distanzieren sich.

Mit Arik Diamant* sprach Thorsten Schmitz

Warum haben Sie den Armeedienst verweigert?

Als Soldat muss man aus Gewissensgründen den Einsatz in den Palästinensergebieten verweigern, weil man dort jüdische Siedler schützt. Mein Einsatz in den besetzten Gebieten hatte nichts mit der Sicherheit des Staates Israel zu tun, sondern nur der Kolonialisierung der Palästinensergebiete gedient. Zu verweigern, ist ein Ausdruck von Patriotismus, denn in Wahrheit gefährdet die Besatzung Israels Sicherheit.

Sind die Soldaten, die jetzt den Einsatz verweigern, auch Patrioten?

Überhaupt nicht. Das kann man mit unserer Grundhaltung nicht vergleichen. Bei uns hat jeder Zwiesprache mit seinem Gewissen geführt und sich individuell und aus humanitären Gründen gegen einen Dienst in den besetzten Gebieten entschieden. Bei den Rückzugsverweigerern handelt es sich um Soldaten, die blind ihrem Rabbiner folgen, wenn der sagt, der Rückzug sei schlecht. Die sehen in den Siedlern keine undemokratische Bevölkerungsgruppe, die von ihren klimatisierten Wohnzimmern auf Millionen palästinensischer Flüchtlinge blickt.

Was bezweckt Israels Regierungschef Ariel Sharon mit dem Gaza-Rückzug?

Es ist ein genialer Schachzug Sharons, mit dem er sich einen roten Teppich verschafft. Sogar Frankreichs Staatspräsident Jacques Chirac schüttelt Sharon nun die Hand. Am Ende kriegt er noch den Friedensnobelpreis für die Evakuierung der paar Tausend jüdischen Siedler in Gaza.

Wie erklären Sie sich die Begeisterung?

Sharon sagt der Welt, seht her, ich gebe jüdische Siedlungen auf. Dass er gleichzeitig die Siedlungen im Westjordanland ausbaut, wird von der Welt bei ihrer Freude über den Gaza-Abzug übersehen.

Wird mit dem Rückzug der Friedensprozess reaktiviert?

Ich bin mir noch nicht mal sicher, dass der Rückzug aus dem Gazastreifen komplett umgesetzt wird. Es muss nur einer sterben, dann würde der Rückzug erst einmal ausgesetzt. Ich bin überzeugt, dass es nach dem Gaza-Rückzug zu einer dritten Intifada kommen wird. Dann ist das Westjordanland dran. Dort leben nicht 8000 Siedler wie im Gazastreifen, sondern 250 000, und es werden emsig weiter Häuser und Wohnungen gebaut.

* Der Ex-Fallschirmjäger Arik Diamant ist Geschäftsführer des Vereins «Mut zur Verweigerung». Die Vereinigung wurde vor drei Jahren von 50 zum Teil hochrangigen Soldaten gegründet, die den Einsatz im Westjordanland und im Gazastreifen in einem weltweit beachteten öffentlichen Brief als «unmenschlich» kritisiert hatten.

 

 

3 Comments »

  1. so guter artikel.. kein kommentar nötig..

    Comment von flegel vanderzocht — 18. August, 2005 @ 11:26 pm

  2. Ich bin mir nicht ganz sicher, aber ich dachte mal gelesen zu haben, dass die Siedlungen massiv von den Israelis subventioniert wurden.
    Was ich sicher weiss, die evakuierten Siedler bekommen von Israel bis Fr. 450’000 pro Familie entschädigt. Nur wenn sie das Ultimatum verstreichen liessen, wurden die Beiträge gekürzt.

    Wie war das nochmals? Wer zahlt befiehlt?

    Comment von ymo — 20. August, 2005 @ 9:46 pm

  3. kann ich mir gut vorstellen. wer wollte anno dazumal schon in palästinensergebiet wohnen gehen…

    Comment von PAX — 20. August, 2005 @ 10:55 pm

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