Ich denke nicht. Was Borat in seinem Film ausnutzt ist eigentlich ein relativ bekanntes psychologisches Phänomen. Daraus irgend etwas abzuleiten finde ich mehr als gewagt. Versteht mich nicht falsch, er macht das brilliant und er hat wirklich sehr grosses komisches Talent. Den gleichen Effekt würde man in der Schweiz mit ebenso vielen Leuten hinkriegen, da bin ich überzeugt.
Wie macht er das also? Das ganze nennt sich ‚Foot in the door technique‘ und läuft nach folgendem Muster ab. In der Interaktion macht Borat zuerst selbst ein rassistisches Statement oder fragt etwas harmloses ab, das einen rassistischen Stereotypen abruft. Ein Mensch mit viel Zivilcourage würde jetzt intervenieren, denn rassistische Verhaltensweisen sind ja per se eigentlich nie in Ordnung. So funktionieren wir aber nicht. Jeder hat Stereotypen in sich und ist meistens für die Bestätigung derselben auch empfänglich. Es beginnt harmlos, ein kleiner Scherz, man interveniert nicht, vielleicht auch, weil man noch nicht weiss, wie das Gegenüber einzuschätzen ist. Doch das ist der Fehler. Denn nun hat man Borat die Tür geöffnet und jetzt hat er seinen Fuss drin, sodass man sie nicht mehr schliessen kann. Ab diesem Zeitpunkt gibt es kein zurück mehr, ab jetzt ist eigentlich alles vorprogrammiert.
Die Zoten und die rassistischen Aussagen werden immer stärker, man kann sich jedoch jetzt nicht mehr dagegen wehren. So nach dem Motto, ‚wer A sagt muss auch B sagen‘ kann man ja nicht plötzlich etwas rassistisch finden. Man hätte früher intervenieren müssen. Aber der Drang, sich konsistent zu verhalten ist grösser als die Courage. Und so akzeptiert man auch schlimmere Aussagen oder macht sogar selber welche.
Vielleicht lässt sich das an Hand eines Beispiels illustrieren. Borat will ein Auto kaufen und streut in das Gespräch mit dem Verkäufer stereotype Aussagen über Zigeuner ein, die In Kasachstan ein grosses Problem seien. Was soll der Verkäufer da antworten? Nichts, man lässt in schwatzen. Weitere Aussagen folgen und dann kommt zum ersten Mal eine Frage: „Welchen Schaden nimmt das Auto, wenn ich damit in eine Gruppe Zigeuner fahre?“ Der Verkäufer kann jetzt nicht mehr zurück. Er hat all die Aussagen über die Zigeuner unbeantwortet gelassen, er kann sich nur noch konsistent verhalten, wenn er die Frage nun beantwortet. Stattdessen versucht er noch eine Gegenfrage zu stellen, nämlich wie hart er denn in die Gruppe fahre. Borat antwortet natürlich und lässt dem Verkäufer so keinen Ausweg mehr. So lässt er sich dann auch zu der Aussage bewegen, an der Windschutzscheibe werde wahrscheinlich Schaden entstehen. Ist er deswegen ein Rassist? Ist er vielleicht ein guter Verkäufer? Hilfreich ist dabei vielleicht die Doku, die ich gestern noch im TV gesehen habe. Da haben Journalisten diese Leute aus dem Film nämlich besucht und befragt. Und nicht weiter erstaunlich, deren Version tönt oft anders. Nicht immer allerdings. Jedoch der Autoverkäufer hat auf mich im Gegensatz zum Rodeoveranstalter, auf den zweiten Blick nicht wirklich einen rassistischen Eindruck gemacht.
Ich will die Leute nicht verteidigen. Sie haben zweifellos rassistische Stereotypen in sich, sie geben ihnen nach und sie lassen sich zu rassistischen Äusserungen provozieren, die sicher so nicht gemacht würden, wenn da nicht latent Rassismus vorhanden wäre. Aber eben, wir alle haben solche Stereotypen in uns. Borat gelingt es einfach, sie ans Licht zu bringen. Und das macht er mit viel psychologischem Geschick.
Ich denke, das wäre in der Schweiz genau dasselbe. Ein grosser Anteil der Bevölkerung hat stereotype Bilder über Albaner oder ‚Tschinggen‘ in sich. Und ein ebenso grosser Anteil hat sicher auch schon eine im Ansatz rassistische Bemerkung gemacht. Der Rest würde nach obigem Muster ablaufen, da bin ich mir sicher. Wer nun denkt ‚ich sicher nicht‘ sollte vielleicht innehalten und die Prozentzahlen des Milgram-Experimentes studieren. So sicher wäre ich mir da nicht.
Nichts desto trotz zeigt Sasha Baron Cohen auf, dass wir in einer scheinheiligen Gesellschaft leben. Dass er es schafft diese Masken zum Fallen zu bringen ist trotz allem eine grosse Leistung.