3. Juni, 2005

im dschungel

Category: [daily business] — Admin @ 6:16 am

Herbst. Samstag Nachmittag. Nassgraues Wetter. Wohliges Eintauchen in die Wärmeschleuse des Kaufhauses. Verweilen während eines Bruchteils einer Sekunde und jedes Mal wieder dieselbe Frage, warum wohl dieses Gefühl so angenehm ist. Wahrscheinlich weil es symbolisch den invertierten Geburtsvorgang darstellt, noch wahrscheinlicher ist es eine schöne Erinnerung an meine Kindheit. Und diese werden ja mit zunehmendem Alter immer weniger. Am Wahrscheinlichsten ist aber, dass man dem nasskalten Wetter entflieht in so etwas wie eine vorgegaukelte Geborgenheit eintaucht, die aber definitiv keine sein kann. Doch die Zeit drängt, die Leute auch. Wir werden weitergespült. Und meine Stimmung sinkt so rasend schnell wieder, wie sie zuvor gestiegen war. Mein Auge erblickt die Parfüm- und Kleisterverkäuferinnen, die (zumindest räumlich gesehen) unterste Stufe der Kaufhaushierarchie. Sie stehen da, diese austauschbaren Geschöpfe, mit durch ihre Produkte plattgekleisterten, entemotionalisierten Gesichtern und preisen ihre Waren an, von denen sie, wie mir scheint, auch nicht restlos überzeugt sind, und die den besten Beweis dafür darstellen, dass diese Crèmes und Wässerchen nicht glücklich machen, oder zumindest nicht diejenigen, die sie auf- und tragen.

Wir bahnen uns den Weg durch diese Wohlfühlwelt, zu den Coiffeurartikeln, denn wir haben eine Mission; wir suchen eine Schere. Nicht Papier sondern Haare soll sie schneiden können, wobei mir als Laien eigentlich nicht ganz klar wird, wie genau sich eine Haar- und eine Papierschere unterscheiden. Aber das ist jetzt auch egal. Wir suchen eine Schere. Haare schneiden, zumindest beim Mann nicht immer eine Frage der Eitelkeit und bei mir schon gar nicht. Obwohl der Universität entronnen, prägt mich das studentische Budget weiterhin und ich lasse folgerichtig, den Coiffeur vom Schneiden des Damenhaars leben. Meine Haare werden von meiner Freundin geschnitten. Aber dazu reicht heute eine normale Schere nicht mehr, dazu muss es eine Haar-Schere sein. Wir finden das gesuchte Produkt dank meiner Freundin innert einer halben Minute. Ohne sie hätte es wahrscheinlich eine halbe Stunde gedauert, da Männer bekanntlich das Gehirn in eine Art Dämmerzustand versetzen, wenn sie ein Kaufhaus betreten und ich da keine Ausnahme darstelle. Die vielen Leute und Dinge überfordern das doch eher auf „eins nach dem anderen“ ausgerichtete Denken des durchschnittlichen Mannes. Egal, wir haben die Schere. Keine Schlange vor der Kasse und es scheint eine gute Chance zu bestehen, dass wir das Kaufhaus, diesen ungastlichen Ort innerhalb von fünf Minuten wieder verlassen können. Während meine Freundin in der Zeitspanne, in der ich gerade mal schaffe ein Kaufhaus zu betreten, noch schnell ein paar Parfüms anschaut, steuere ich geradewegs (denn das können wir dank unserem Jagdinstinkt und dem, gegenüber dem weiblichen sehr eingeschränkten Gesichtsfeld hervorragend) die Kasse an, die wie gesagt geradezu nach Kundschaft zu lechzen scheint. Zwei Verkäuferinnen, welch ein Luxus, und erstaunlicherweise haben sich die beiden ausgerechnet heute einmal NICHTS zu erzählen. Ich kann mein Glück nicht fassen, bezahle und will mich bereits wieder auf den Weg machen, als die Verkäuferin noch schnell ein Muster für meine Freundin in den Sack steckt. Parfüm. Klar, die Verkäuferin hat mitbekommen, dass meine Freundin neue Düfte testet. Nach einem prüfenden Blick in mein Gesicht, hat sie auch für mich noch das richtige Werbegeschenk gefunden und lässt es mit einem bemitleidenden Lächeln im Plastiksack verschwinden. Warum hat sie während dieser kurzen Zeitspanne zwischen meine Augen geschaut? Oder hat sie mir in die Augen geschaut, versucht zu flirten und ich habe es wieder einmal nicht gemerkt? Doch da dämmert es mir, zwischen meinen Augen befindet sich momentan ein aufgekratzter Mitesser und mit aufgekratzt meine ich nicht seine Stimmung, sondern seine physische Form. Warum ich ihn aufgekratzt habe? Damit es meine Freundin nicht tut. Obwohl Frauen das nicht als aufkratzen, sondern als quasi operativen Eingriff sehen, den sie meisterhaft ausführen können. Mir ist schleierhaft, wie man sich ab dem Ausdrücken eines Pickels so erfreuen kann, dennoch kenne ich keine Frau, die das nicht gerne tut. Wieso eigentlich finden Frauen das so interessant und machen es so gerne? Am Körper herummanipulieren bis eine Flüssigkeit herauskommt kann man beim Mann auch an anderen Stellen, an denen er sich mit grosser Wahrscheinlichkeit nicht so ziemen würde. Aber da scheint es dann doch gewaltige Unterschiede bezüglich des austretenden Saftes zu geben. Ekelt sich doch keine der pickeldrückenden Damen vor dem was aus dem Pickel, aber eine nicht kleine Anzahl vor dem was aus dem ebenfalls manipulierbaren Geschlechtsteil kommt. Aber lassen wir das. Die Verkäuferin hat also meinen Pickel gesehen und auch mir ein Muster mit in den Plastiksack gesteckt. Als mir dieser Zusammenhang bewusst wird schwant mir Böses. Ich nehme das Muster heraus und lese was darauf steht: LAB SERIES FOR MEN, NIGHT RESCUE, SKIN REVITALIZING THERAPY. Zack, neben dem Pickel zwischen den Augen nun auch noch die Faust darauf. EIN Pickel! Und gleich braucht man die NIGHT RESCUE? Und bleibt es bei dieser Crème oder aktiviert die Verkäuferin gleichzeitig einen Code der dann in der NIGHT RESCUE Zentrale Alarm auslöst und 20 Kosmetikerinnen zu mir nach Hause schickt? Zugegeben, ein Pickel im Gesicht ist kein schöner Anblick. Aber ich bin immer noch stolz darauf in einer, vom Schönheitswahn umzingelten, Gesellschaft einen Makel und somit Charakter zu haben. Ich werte das als Zeichen meiner Haut, dass sie lebt, was sie ja auch darf. Hier mit Salben Abhilfe zu schaffen habe ich seit der Pubertät, während der das Aussehen einen weit grösseren Stellenwert hatte, nicht mehr versucht und auch nicht gewollt. Und diese Verkäuferin mit ihrem Mitleid und der ichhabdagenaudasRichtigefürSie-Mentalität ändert daran auch nichts. Im Gegenteil. Einschränkung der persönlichen Freiheit bewirkt Reaktanz und in meinem Fall ein vermehrtes Zuführen von fetthaltiger Nahrung. Es lebe die Freiheit, anders sein zu dürfen.Etwas konsterniert begebe ich mich in Richtung Geburtskanal und das Kaufhaus entbindet mich wieder einmal in die Welt, die richtige, welche sich immer noch grau und samstäglich darstellt und somit hervorragend zu meiner Stimmung passt.

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